Meine Liebesgeschichte: Wie ich lesbisch wurde

Eine interessante Tanzpartnerin

Anke B. kam nicht als Patientin zu mir. Sie hätte gewiss niemals einen Psychiater oder Sexualberater nötig gehabt. Dazu war sie in ihrer ganzen Persönlichkeit zu selbstbewusst und zu sehr gefestigt. Wir begegneten einander auf einer Party bei gemeinsamen Bekannten. Die große Frau mit den blauen Augen, dem energischen Kinn unter einem fein geschwungenen und doch irgendwie herben Mund war mir sofort aufgefallen. Sie trug das dunkle Haar schulterlang und offen. Peter, unser Gastgeber, stellte mich vor.
„Nimm dich vor ihm in acht, Anke, er stellt oft so merkwürdige Fragen und ist manchmal schrecklich neugierig“, sagte er dabei, hieb mir lachend auf die Schulter und verschwand. Ich tanzte mit Anke. Wir fanden Gefallen aneinander, schon deshalb, weil wir im Tanz großartig aufeinander abgestimmt schienen. Ich bin, weiß Gott, kein großer Tänzer vor dem Herrn. Mit Anke ging es einfach wie von selbst. Bei einer Samba, die leider so sehr aus der Mode gekommen ist, waren wir so ineinander versunken, dass wir unsere Umgebung nicht mehr wahrnahmen.
Wir erwachten erst, als mit dem Ende der Musik lautes Beifall klatschen einsetzte. Die übrigen Paare hatten zu tanzen aufgehört und unserer Samba wie einer Schaunummer zugeschaut. An der Hausbar ließ Anke ihren prüfenden Blick,den ich später noch so gut kennen lernen sollte, eine Weile auf mir ruhen. Wir hatten, wie auf solchen Partys üblich, nach dem zweiten Drink an der Hausbar zum freundschaftlichen Du gefunden. Ohne Zeremoniell und Bruderkuss. Wie man das heutzutage eben so hält.

„Was hat Peter denn vorhin gemeint“, begann sie schließlich und nippte nachdenklich an ihrem Martini, „inwiefern bist du schrecklich neugierig? Für einen Journalisten gebe ich doch wohl kein geeignetes Interviewobjekt ab, obwohl ich schon mal in der Zeitung gestanden habe. Damals, als ich meine Möbel-Boutique aufmachte. Journalist bist du doch wohl nicht?“

Das konnte ich mit gutem Gewissen verneinen. Sehr vorsichtig – wieso hatte ich eigentlich plötzlich Hemmungen? – und umständlich setzte ich ihr auseinander, dass ich mich als Eheberater und Sexualforscher betätige. Und meine Neugierde – nun, ja – bei sehr guten Bekannten erlaubte ich mir schon mal die Frage: ‚Wie war es bei dir, damals, beim ersten Mal?‘ „Ach so“, meinte Anke nur und zog mich vom Barhocker, weil die Musik wieder etwas Südamerikanisches spielte. Als wir von der Tanzfläche zurückkehrten, trat uns eine Frau in den Weg, die ich bis dahin überhaupt nicht wahrgenommen hatte.
Sie war älter als Anke, gleichfalls hochgewachsen, künstlich erblondet, aber sehr gepflegt. In ihrem Blick lag ein leiser Vorwurf. „So wie heute hast du mich aber lange nicht mehr vernachlässigt“, sagte sie. Ich merkte ihr an, dass sie eine gewisse Erregung unterdrücken musste. „Hier, ich habe dir deinen Lieblingscocktail gemixt.“ Sie hielt Anke ein hohes Glas mit gezuckertem Rand entgegen. Von mir schien sie keinerlei Notiz zu nehmen zu wollen. Also verbeugte ich mich artig und ließ die beiden Damen allein. Ich konnte nicht umhin, Anke im weiteren Verlauf des Abends zu beobachten.
Sie tanzte nicht mehr. Die blonde Frau wich ihr nicht von der Seite. Auf einmal waren die beiden verschwunden. Schade, dachte ich und ging in den Wintergarten hinaus, um in Ruhe eine Zigarette zu rauchen. Hinter einer Gruppe aus Palmenkübeln sah ich plötzlich Ankes dunklen Haarschopf. Daneben schimmerte das helle Blond eines zweiten Frauenkopfes. Die beiden schienen in ein ernsthaftes Gespräch vertieft. Leise zog ich mich zurück.

Peter war schon ziemlich beschwipst, als ich ihn endlich mal allein zu fassen bekam. „So, so – die schöne Anke hat dich tief beeindruckt?“ grinste er mich auf meine Frage hin an, was es denn mit dem plötzlichen Verschwinden meiner Tänzerin auf sich habe.

Oh, die ist ja echt lesbisch

„Hat dich deine Beobachtungsgabe im Stich gelassen? Bist du verliebt und deshalb blind? Die beiden, Anke und ihre sogenannte Geschäftsführerin, sind doch seit Jahren ein Paar. Jeder in unserem Bekanntenkreis weiß das. Wenn du dir Hoffnungen gemacht hast, gib sie auf, mein Lieber. Unsere schöne Schwarzhaarige ist hoffnungslos lesbisch…“ Nun, von verliebt sein konnte ich nicht gerade reden. Immerhin musste ich mir eingestehen, schon seit langem keine so faszinierende Frau gesehen zu haben wie Anke B. Lesbisch also? Nun gut – meinetwegen… Schade, eigentlich hätte ich doch vorhin meine berühmt-berüchtigte Frage gleich stellen sollen… „So in Gedanken versunken?“ sagte eine Stimme von leicht sprödem Klang neben mir. Ich setzte mein Whiskyglas auf die Hausbar und schaute in Ankes helle Augen, die merkwürdig stählern funkelten. „Um in Gedanken versunken zu sein, bin ich wohl nicht mehr nüchtern genug“, gab ich möglichst unbefangen zurück. „Vielleicht, um ehrlich zu sein, fehlt mir die großartige Tänzerin, die mich vergessen lässt, dass ich eigentlich gar nicht tanzen kann.“ „Dem ist abzuhelfen“, lachte Anke und zog mich in die Diele hinaus, wo nur noch wenige Paare tanzten. Wir sprachen kein einziges Wort, bis die Musik verstummte. „Wo hast du denn deine Freundin gelassen?“ Diese Frage konnte ich mir auf dem Rückweg zur Hausbar einfach nicht verkneifen.

„Also doch ein neugieriger Frager“, lachte Anke. „Ganz einfach, ich habe sie heimgeschickt. Sie war müde, hatte Kopfschmerzen und macht sich sowieso wenig aus dem Trubel solcher Parties. Ich eigentlich auch nicht. Als Innenarchitektin muss ich mich hin und wieder in der sogenannten Gesellschaft sehen lassen. Das ist gut fürs Geschäft. Natürlich mault Gertrud jetzt – aber so weit geht die Liebe nicht, dass ich mir Vorschriften machen ließe.“ „Liebe also?“ hakte ich sofort ein. „Ja, und zwar lesbische, wenn du es so genau wissen willst. Wir leben zusammen.“

Das war eine einfache und glasklare Feststellung, fast mit ein wenig Feindseligkeit hervorgestoßen, so als müsse sich die Sprecherin gegen etwas verteidigen. Wir nahmen uns einen neuen Drink und schwiegen vor uns hin. „Warum fragst du mich nicht?“ begann Anke schließlich und setzte mit hartem Knall ihr Glas ab. „Was soll ich dich fragen? Ob du mit mir ins Bett gehen willst? Ich bin nicht ganz so dumm, wie ich vielleicht aussehe.“ „Quatsch, wer redet vom Bett!“
Anke nahm sich eine . Ich gab ihr Feuer. Sie rauchte ein paar hastige Züge. Ihr Blick glitt prüfend über mich. „Wenn du ihm nur nicht so verdammt ähnlich sehen würdest – diesem Schwein“, fauchte sie mich an. Sofort legte sie begütigend ihre Hand auf meinen Unterarm. „Entschuldige, ich bin etwas durcheinander. Als du hereinkamst, wollte ich spornstreichs zur anderen Tür hinaus verschwinden. Dann erkannte ich meinen Irrtum. Du siehst ihm ähnlich – und wiederum nicht. Du bist männlicher, nicht so ein weicher Lappen…“
„Du redest in Rätseln, schönes Kind“, warf ich ein. „Und Rätsel mag ich nicht, jedenfalls nicht um zwei Uhr früh kurz vor Auflösung einer Party. Welchem Schwein sehe ich ähnlich?“ Sie rauchte wieder ein paar hastige Züge und drückte die Zigarette aus, als wolle sie etwas töten. „Meinem Mann siehst du ähnlich. Das ist es. Ähnlich und wiederum auch nicht. Warum fragst du mich nicht?“ „Was denn, verdammt noch mal?“ „Na, was Peter vorhin andeutete. Du bist doch Sexualforscher, nicht wahr? Du sammelst doch Fälle? Ich bin einer. Das kannst du mir glauben. Und ich wäre gerade in der richtigen Stimmung, mir mal alles von der Seele zu reden. Bist du bereit zu lauschen – Herr Doktor und Seelenmasseur?“ „Natürlich bin ich bereit zu lauschen. Aber – hier?“

Darf ich mir meine Geschichte von der Seele reden?

Zehn Minuten später saßen wir im Wagen und befanden uns auf dem Wege zu meiner Wohnung. Kurioses Mädchen, diese Anke. Sie hatte sich in die Ecke an der Wagentür gedrückt, als wäre ihr die Nähe eines Mannes zuwider. Freilich, wenn ich ihrem Mann, dem Schwein, so ähnlich sah… Anke gehörte also zu den zwanzig Prozent der lesbischen Frauen, die es nach Alfred Kinseys Forschungen unter der weiblichen Bevölkerung der Vereinigten Staaten gibt.
Genauer gesagt, zu den Frauen, die irgendwann einmal in ihrem Leben lesbische Beziehungen gehabt haben. Seine Forschungen liegen um Jahrzehnte zurück und gelten durch neuere Belege als überholt. Denn etwas später, bei Dr. G. Hamilton, bekannten von hundert befragten Frauen genau fünfundzwanzig, irgendwann mit Frauen sexuell verkehrt zu haben. Zu fast dem gleichen Ergebnis kam der Yankowski-Report. Er deckt sich mit den Angaben über das sexuelle Verhalten der deutschen Frauen, die in neuester Zeit von deutschen Forschern, zum Teil im Auftrage von Zeitschriften, ermittelt worden sind.
Demnach gibt es in der Bundesrepublik Deutschland zwischen fünfhunderttausend und achthunderttausend Frauen, die entweder ganz oder über wesentliche Zeiträume ihres sexuell aktiven Lebens ihre Erfüllung beim gleichen Geschlecht gesucht und gefunden haben. „Darf ich davon ausgehen, dass du in deiner jetzigen Lage nicht sehr glücklich bist?“ nahm ich das Gespräch wieder auf, nachdem ich uns bei mir einen kräftigen Kaffee gebraut hatte.

„Doch, ich bin glücklich – jedenfalls glücklicher als jemals zuvor“, erklärte Anke. Sie sah zu, wie ich das Tonbandgerät herbeiholte und in Betrieb setzte. „Glücklich durchaus – in dem Sinne etwa, dass mir nichts fehlt, dass ich nichts vermisse. Nur manchmal habe ich das Gefühl, dass ich noch nicht ganz frei bin von meiner Vergangenheit, der mit den Männern, meine ich.“ „Es hat also Männer gegeben – nicht nur den einen, dem ich so fatal ähnlich sehe?“

Ich war nicht von Beginn an lesbisch…

„Wenige – na, immerhin einige. Ich war nicht von Beginn an eine Lesbierin. Im Gegenteil, wer mir vor zehn, fünfzehn Jahren vorausgesagt hätte, dass ich einmal so herum werden würde, dem hätte ich ins Gesicht gelacht. O nein, ich glaube mir schmeicheln zu dürfen, dass ich eine vorzügliche Ehefrau und Geliebte gewesen bin. Aber die Männer – pfui Teufel! Willst du nun meine Geschichte hören oder nicht?“ I

ch nickte. Anke holte tief Luft – und hielt inne. Das Telefon schrillte. Mit einer gemurmelten Entschuldigung ging ich an den Apparat und meldete mich. „Kann ich – ich möchte – holen sie mir Anke ans Telefon“, sagte am anderen Ende der Leitung eine schrille Frauenstimme, der man deutlich anmerkte, dass sie von Tränen verschleiert war. Liebe auf lesbisch„Für dich“, sagte ich und hielt Anke den Hörer hin. Sie war bereits aufgestanden, als habe sie diesen Anruf erwartet. Sie lauschte eine Weile in den Hörer und sagte dann hart: „Nimm dich gefälligst zusammen, Gertrud. Nein, du brauchst dir keine Sorgen zu machen… nein, ich werde nicht mit ihm ins Bett gehen… aber du musst verstehen… ach, lass mich in Ruhe, leg dich hin und warte auf mich… ja, ich komme bald.“ Mit einem Ruck warf sie den Hörer auf die Gabel und kehrte auf ihren Platz zurück. Sie hatte den Sessel jenseits des kleinen Tisches möglichst weit weg von mir, gewählt. Zwischen uns stand das Tonbandgerät.
Es wirkte wie eine spanische Wand. „Gertrud hat Angst, ich könnte rückfällig werden“, meinte sie, als ich sie nur schweigend ansah. „Zweimal hat sie das mitgemacht, die Gute. Ich lasse mich nun einmal nicht am Gängelband führen. Man bricht nicht aus einer Bindung aus, nur um seine Freiheit in einer anderen erneut zu opfern. Wo waren wir stehen geblieben?“ „Du wolltest meine Sammlung von Fallgeschichten um eine weitere bereichern…“ Ich deutete auf das Gerät, dessen große Spulen sich langsam drehten. „Ob es eine Bereicherung wird? Mir würde es wahrscheinlich helfen, wenn ich meine Vergangenheit dieser Maschine anvertraue. Damit ich mich endlich ganz davon lösen kann…“ Hier sei wiedergegeben, was nach Auswertung des Tonbandes jener Nacht als Zusammenfassung übrig blieb:

Meine Kindheit in einer preußischen Beamtenfamilie

„Ich stamme aus einer ostpreußischen Beamtenfamilie. Das heißt strenge Erziehung, Pflichtgefühl, patriarchalisches Familienleben. Vater war der unumschränkte Herrscher im Haus. Nach ihm richtet sich alles. Das heißt, so glaubte er. In Wirklichkeit beherrschte meine stille, bescheidene, unterwürfige Mutter das Feld und die Familie.

Offenen Widerspruch gegen Vater gab es bei ihr nie. Schon gar nicht in Gegenwart von uns drei Kindern. Ich war die Älteste. Deshalb wurden an mir alle Erziehungsfehler begangen, die man nur begehen kann. Vater war ein in die Beamtenlaufbahn übernommener sogenannter Zwölfender. Er hatte zwölf oder mehr Jahre beim Militär gedient. Ich bewunderte ihn sehr. Bis ich im Alter von zwölf oder vierzehn Jahren herausfand, dass dieser Held, der sich diverser Orden rühmte, den größten Teil seiner Soldatenzeit auf einer Schreibstube und in der Verwaltung zugebracht hatte.

Wir wissen inzwischen alle, dass das immer die zackigsten Soldaten gewesen sind. Vor allen Dingen nach ihrer Dienstzeit. Vater war Vorsitzender in irgendeinem Soldatenverein – na ja, aber das gehört nicht unbedingt hierher. Wollte damit nur das Milieu andeuten. Vorbild war und blieb die kaiserliche Familie längst vergangener Zeiten. Einschließlich all ihrer Verlogenheit und Abkehr von der Wirklichkeit des Alltags. Sexuelles war natürlich verpönt. Aufklärung fand nicht statt. Sonntags zog die Familie geschlossen in militärischer Ordnung zum Gottesdienst. Vater ging hinterher zum Frühschoppen. Kam dann meistens angesäuselt und sehr fröhlich heim.
Natürlich blieb der hellhörigen Heranwachsenden nicht verborgen, dass nach dem Mittagessen, wenn Vater und Mutter sich zum Schläfchen zurückzogen, im elterlichen Schlafzimmer nicht sofort geschlafen wurde. Dienstags und freitags war bei Vater Geschlechtstag, und am Sonntagmittag, versteht sich. An zwei weiteren Abenden der Woche war er außer haus. Soldatenverein und Kegelabend. Alles streng geregelt. Preußisch, genau nach Plan. Ich durfte nicht bis zum Abitur auf der Schule bleiben, obwohl ich Klassenbeste war. Lernen machte mir Spaß. Vaters große Liebe und alle seine Hoffnung war mein Bruder Kurt, sein einziger Junge. Er hat das Abi nicht geschafft. Wir beiden Mädchen durften es nicht machen. Mädchen waren irgendwie minderwertiges Gesocks und das Geld nicht wert, das man in ihre Ausbildung steckte. Dieser Minderwertigkeitskomplex wurde später im Beruf, ich lernte zunächst bei einer Bank, fröhlich weiter gezüchtet.

Die geplante Verlobung

Mit neunzehn Jahren sollte ich verlobt werden. Mit dem Sohn eines Freundes meines Vaters. Der junge Mann war natürlich Soldat. Unteroffizier oder irgend so etwas Hohes. Wir wurden anlässlich eines Familienfestes zusammengeführt und konnten einander vom ersten Augenblick an nicht ausstehen. Erich löste das Problem dadurch, dass er sich kurzerhand mit dem Mädchen verlobte, mit dem er längst befreundet gewesen war. Ich war mal wieder das schwarze Schaf. Nicht gut genug für den Freundessohn, den strammen Soldaten. Von da an habe ich meinen Vater für eine Weile aus den Augen verloren. Ich ging inzwischen auf die Einundzwanzig los und war nicht gewillt, mir länger Vorschriften im Kommisston machen zu lassen. Vater hielt mich für völlig von den ‚Flausen‘ verdorben, die man den jungen Leuten in den Kopf setzte, um sie dem bewährten Althergebrachten abspenstig zu machen. Krieg, Flucht, Zusammenbruch will ich übergehen. Das alles hatte auf meine spätere Entwicklung keinen Einfluss. Dass ich wurde, wie ich heute bin, habe ich meinem Mann zu verdanken – oder besser zu verzeihen, wenn das möglich ist. Albert trat in mein Leben, als ich meine erste richtige Stellung hatte. Meine Lehre und die Prüfung hatte ich mit Glanz hinter mich gebracht.

Und ich war immer noch Jungfrau. Die jungen Männer mochten vermutlich meine berufliche Überlegenheit nicht. Ältere versuchten öfter, sich an mich heranzumachen. In der Bank hieß ich bald der ‚Eisberg‘. Ich war völlig unerotisch. Gefühle in der Gegend abwärts vom Nabel kannte ich überhaupt nicht. Bis Albert kam.

Er war ganz anders als mein Vater, anders als alle jungen und älteren Männer, die ich bis dahin erlebt hatte. Platonisch natürlich. Er war liebenswürdig, nett, weich und zärtlich. Er entstammte einer alten Bremer Patrizierfamilie, war einziger Sohn und letzter Nachkomme eines einst mächtigen Geschlechts von Seefahrern und Handelsherrn. Der Familie war aus dieser Zeit nicht mehr viel übrig geblieben als die Beteiligung an einer Firma, die sich mit Importen mehr schlecht als recht über Wasser hielt. Albert war Bankkaufmann wie ich. Wie bei mir der Vater, hatte bislang seine Mutter weitgehend sein Leben bestimmt. Ich war Alberts erstes Mädchen. Himmel, wie ungeschickt und blöd haben wir uns beide angestellt, als wir nach der Verlobung den ersten Koitus versuchten.
Erst beim dritten Male gelang es Albert, mich zu entjungfern. Es machte mir wenig Spaß, ihm anscheinend auch nicht. Hochzeit, Ausscheiden aus dem Beruf, Hausfrau spielen. Die Umstellung fiel mir schwer. Was mir noch schwerer fiel, war das Eingehen auf Alberts Absonderlichkeiten.
Nach der Hochzeit in – wie er meinte – sein Eigentum übergegangen, lernte ich bald, dass hinter dem zärtlichen, weichen Jungen ein Waschlappen höchster Güte steckte. Bei der geringsten Meinungsverschiedenheit konnte er in Tränen ausbrechen. Insgeheim sehnte ich mich bald nach der harten Männermanier meines Vaters zurück.

Albert, der Wichser…

Schlimmer aber war, dass ich bald entdecken musste, wie – na, sagen wir mal – abartig Albert auf sexuellem Gebiet war. Er sammelte Pornohefte, wie andere Leute Briefmarken sammeln. Mich rührte er nach den ersten stürmischen Wochen oft tagelang nicht an. Obwohl ich gleich beim zweiten Verkehr einen herrlichen Orgasmus erlebte und auf mehr erpicht war. Ich fand bald heraus, dass mein Albert viel mehr Spaß am Onanieren fand, als am richtigen Verkehr mit mir. Mein eingeimpftes preußisches Pflichtgefühl zwang mich dazu, was er mir abzwang. So kam es bald dahin, dass er mich zwar im Bett befriedigte. Mich zum Orgasmus zu bringen, dauerte immer nur wenige Minuten. Aber er kam und kam nicht. Erst wenn er sich von mir löste und die Sache mit der Hand zu Ende brachte, ging es. Besondere Freude schien es ihm zu machen, wenn er seinen Samen auf meinen nackten Bauch tropfen sah. Manchmal, und das wurde bald zur Regel, musste ich mich mit weit gespreizten Beinen aufs Bett legen. Mit beiden Händen musste ich meine äußeren Schamlippen packen und so weit wie möglich auseinanderziehen. Er starrte in mich hinein und rieb seinen Penis, bis es ihm kam. Er ekelte mich an.

Am schlimmsten war, dass er in mein langes, dunkles Haar vernarrt zu sein schien. Aber auch das war irgendwie eine Art von Hassliebe. Er liebte mich, er liebte mein Haar und versuchte mich zu erniedrigen, wo immer es ging. Seine Augen leuchteten ekstatisch, wenn er vor mir masturbierte und sich, wenn es ihm kam, keuchend über mich warf. Nicht, um erneut in mich einzudringen, nein, um seinen tropfenden Penis in meinem langen Haar abzuwischen. Das alles habe ich über ein Jahr ertragen. Nicht zuletzt deshalb, weil ich schon bald nach der Hochzeit schwanger wurde. Meinen anschwellenden Leib fand er scheußlich und aufreizend zugleich.

Richtigen Verkehr hatten wir überhaupt nicht mehr. Er stand nur immer vor mir und rieb sein Glied, um mir dann die Tropfen ins Haar und ins Gesicht zu spritzen. Ich gebar einen Jungen. Ein bildschönes Kind. Er ist auch heute noch mein ganzer Stolz. Denn nach der Scheidung ist er mir geblieben. Ich habe ihn in ein Internat gegeben. Er macht mir Freude. Die Scheidung – ach ja, das kam so. Nach der Entbindung hatte ich eine längere Aussprache mit Albert. Er offenbarte mir in einer weichen, etwas weinseligen Stunde, dass ihn seine Mutter immer ängstlich vor dem Umgang mit allem weiblichen behütet habe. Was blieb dem armen Kerl übrig, als sich in die Phantastereien eines Masturbierers zu flüchten, aus denen er bald keinen Ausweg mehr fand. Auch ich konnte ihn daraus nicht erlösen. Ich weiß nicht, wann er Judith begegnet ist. Sie muss die Frau gewesen sein, bei der er endlich fand, was ich ihm aus irgendeinem Grunde und trotz ehrlicher Bemühung nicht geben konnte. Kurzum, er betrog mich nach Strich und Faden. Es dauerte eine Weile, bis ich dahinter kam. Meine Reaktion war kurz und sachlich. Scheidung zu seiner Alleinschuld. Manchmal ruft er mich noch an und weint sich am Telefon aus. Judith, die er bald danach geheiratet hat, schikaniert ihn. Er tut mir nicht einmal mehr leid. Die Rückkehr in den Beruf, belastet mit einem damals noch kleinen Kind, absorbierte meine Kräfte vollkommen. Wiederum war ich vom Nabel abwärts wie abgestorben.

Männer kotzten mich an.

Da war dieses Raunen im Betrieb. Die ist geschieden, die muss es doch nötig haben! Pustekuchen, ich nicht. Aber ich war allein, so entsetzlich allein. Dabei ging es im Beruf aufwärts. Ich fuhr zu Tagungen und Konferenzen, lernte Männer kennen, die sich um mich bemühten. Zweimal oder dreimal habe ich es mit diesem oder jenem versucht. Verheiratete Männer, natürlich. Ich hatte nette Abende, wurde umworben, mit ins Hotel genommen, erlebte einen mehr oder weniger intensiven Orgasmus – das ging bei mir immer noch sehr schnell – und dann war es wieder für eine Weile aus.
Ich war hungrig. Ich suchte nach einer Erfüllung, die mir bisher versagt geblieben war. Ich fand sie bei Erika. Kollegin, etwas älter als ich. Ebenfalls geschieden. Hübsch, aber etwas primitiv. Sie blickte zu mir, der im Beruf erfolgreicheren, auf wie zu einer Göttin.
Sie richtete ihre Tischzeit nach der meinen. Dann gingen wir zusammen aus. Und landeten eines Abends etwas angeschickert in ihrer Wohnung. Wie es kam und was eigentlich passiert ist, kann ich nicht mehr genau sagen. Wir haben bei ihr zu allem, was wir im Lokal getrunken hatten, noch etwas hinzugefügt. Ich muss ziemlich blau gewesen sein. Am nächsten Morgen wachte ich in einem fremden Bett auf und hatte eine nackte Frau im Arm. Eben Erika. Nach und nach kehrte die Erinnerung zurück. Wir hatten draußen im Wohnzimmer ihres Appartements auf der Couch gesessen, Türkenblut aus Rotwein und Sekt getrunken und dummes Zeug geschwatzt. Irgendwann hatte Erika ihren Arm um meine Schultern gelegt.

Ich hungerte plötzlich nach Zärtlichkeit. Wir küssten uns. Und dann kamen unsere Hände ins Spiel. Erika holte eine meiner Brüste aus der Bluse, um sie lange und begierig zu küssen. Ihre andere Hand glitt unter meinen Rock. Ihre Berührung ließ mich zum Sieden kommen. Da war sie endlich, die Zärtlichkeit, nach der ich mich so oft gesehnt hatte. Dass Erika unter ihrem Kleid kein Höschen trug, erregte mich ganz gewaltig.
Irgendwie müssen wir ins Schlafzimmer getaumelt sein, um uns auszuziehen und unsere nackten Leiber aneinander zu reiben. Ich hatte hinterher nur das Gefühl, dass alles erlösend schön gewesen war. Die nackte Erika in meinem Arm regte sich. Ihre großen, fülligen Brüste baumelten, als sie sich halb herumdrehte und im Halbschlaf meinen Namen flüsterte. Da ließ ich die freie Hand über ihren Busen gleiten, über ihren Bauch und hinab zu dem Ort der Freude, den ich am Abend zuvor nur durch die Schleier des Alkohols wahrgenommen hatte. Mir war auf einmal glasklar im Schädel. Ich hatte mit einer Frau intim verkehrt, war eine Lesbierin, denn es hatte mir Spaß gemacht, und mein Körper sehnte sich bereits nach einer Fortsetzung. Wie war es gewesen? Ich wusste es nicht, wollte es aber genau wissen. Meine Finger tasteten abwärts und suchten die feuchte, heiße Spalte, die sich meiner Hand alsbald verlangend öffnete. Noch nie zuvor hatte ich eine nackte Frau gesehen. Hellwach, wie ich auf einmal war, betrachtete ich meine Partnerin. Ihre vollen Brüste, den sanft gewölbten Leib, die schwellenden Oberschenkel. Und dazwischen das dunkle Gelock, das meine suchenden Finger sacht teilten. Ich fand einen strammen Knopf, den Kitzler, und begann ihn zart zu reiben. Erika kam sofort.

Sie wälzte sich stöhnend hin und her, blieb aber ängstlich darauf bedacht, ihren Schoß nicht meinem reibenden Finger zu entziehen. Ihr Höhepunkt verströmte in einem langen Seufzer.

Das Spiel hatte mich aufs höchste erregt. Ich ergriff Erikas Hand und führte sie an meine Vulva, die erwartungsvoll brannte und juckte. Ganz, ganz anders, als ich es je bei einem meiner wenigen Männer erlebt hatte. Aber Erika riss ihre Hand aus meinen Fingern, noch ehe ich sie an den Lustgarten hatte führen können. Sie richtete sich halb auf, schaute mich mit vor Zärtlichkeit verschwimmenden Blicken an, beugte sich nach unten und wühlte ihren Kopf in meinen Schoß. Ihre Zunge glitt warm und zärtlich in meine Spalte, immer auf und nieder, bis mich ein Hochgefühl durchschüttelte, wie ich es nie zuvor erlebt, wie ich es nicht für möglich gehalten hatte.

Mit Erika war ich über ein halbes Jahr zusammen. Ich weiß noch, dass mich regelrecht Eifersucht plagte, als sie immer weniger Zeit für mich hatte. Den Mann, der sie mir endlich entführte und den sie geheiratet hat, hasste ich wie die Pest. Kurzum, ich war wieder allein. Aber ich war jetzt geweckt. Unterhalb des Nabels trat bei mir keine Pause mehr ein. Mindestens zweimal in der Woche musste ich mich selbst befriedigen, um nicht Nacht für Nacht von quälenden Sexträumen ohne Erfüllung aufgeweckt zu werden.

Meine Suche nach einer neuen Freundin

Damals habe ich regelrecht Ausschau gehalten nach einer neuen Freundin. Wenn man mir sagt, dass fast ein Viertel aller Frauen um Dreißig oder Vierzig zu lesbischen Beziehungen neigen, dann muss ich der Wissenschaft wohl glauben. Ich geriet immer an die übrigen fünfundsiebzig Prozent. Noch war ich nicht endgültig auf dem Pfade der Gleichgeschlechtlichkeit. Denn auch Männer konnten mich durchaus reizen. Es gab da so zwei oder drei Affären mit Männern, die irgendwie spurlos an mir vorübergegangen sind. Nu an einen erinnere ich mich genauer, einen bekannten Organisten – verheiratet.
Und ewig von schlechtem Gewissen geplagt. Und dann war plötzlich Herbert da. Wie ein Naturereignis. Komische Geschichte, das. Eine der zahllosen Tagungen, an denen ich, inzwischen zu einer Art Abteilungsleiterin aufgerückt, teilzunehmen hatte. Wie war das noch gleich? Im Saal nebenan tagte irgendein Architektenverband.

In Stuttgart war es, richtig. Abends an der Hotelbar mischten sich Banker und Bauleute. Einer von der anderen Fakultät tanzte mehrfach mit mir. Herbert, Anke – das übliche Du an der Bar. Ich nannte ihn ziemlich unumwunden etwas später meine Zimmernummer – und lag lange wach bei unverschlossener Tür. Er kam nicht. Und war am nächsten Morgen abgereist. Drei Tage später kam sein Brief.

Er hatte meinen Namen und die Anschrift in Erfahrung gebracht. Kurz, klipp und sachlich – fast wie eine Bauzeichnung – sein Programm. Wieder einmal ein Verheirateter. Zweimal in der Woche würde er Zeit haben für mich, für uns. Ich brauchte nur nein zu sagen und er würde sich wortlos aus meinem Leben entfernen. So schrieb er. Dann kam der Anruf. Ich jubelte ‚Ja!‘, obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, ihn abzuweisen. Es wurde das verrückteste Jahr meines Lebens.
Wir fielen bereits bei seinem Antrittsbesuch übereinander her, als hätten wir Ewigkeiten lang aufeinander gewartet. Der perfekte Liebhaber war gekommen. Einen besseren Mann als Herbert kann es nicht geben. Er war zärtlich bis zum Gehtnichtmehr, er war männlich hart im Fordern und Nehmen. Er war die Erfüllung schlechthin, der Himmel für eine Frau. Und trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, eine große Dummheit zu machen.
Ich machte sie bewusst. Die schönste Dummheit meines Lebens. Ein Mann wie ein Gott. Klug, überlegen, weltgewandt – aber untreu wie das Gold, von dem ich beruflich so viel zu verwalten hatte. Denn mein hellwacher Verstand ließ sich nicht immer von Gefühlen vernebeln.
Ich kam bald dahinter, dass er zweigleisig fuhr, dass neben mir noch eine andere existierte. Ich habe bald herausgefunden, wer sie war. Ein millionenschweres Luder, das ihn irgendwie in der Hand hatte – wie, weiß ich nicht. Vielleicht hatte sie ihn wirtschaftlich oder beruflich gefesselt. Ach ja, Herbert – ich fühlte mich in den Himmel gehoben, wenn er da war, wenn er mich fickte, dass mir die Ohren sangen. Herbert konnte eigentlich immer. Seine Erektion kam schnell und hart, kaum dass er mich zur Begrüßung in die Arme geschlossen hatte.
Er war so gänzlich unkonventionell. Wenn ihm gerade der Sinn danach stand, legte er mich rücklings auf den Schreibtisch und zog mir das Höschen herunter, um schnell mal im Stehen seine und meine Geilheit zu befriedigen. Selbst wenn ich an einem unserer ausgedehnten Wochenenden kaum in die Klamotten kam und zwischen zwei Nummern in der Küche nackt vor dem Herd stehend ein paar Steaks in die Pfanne haute, war Herbert oft schon wieder hinter mir. Wir passten in der Größe so vorzüglich zusammen, dass er mich ohne Verrenkungen im Stehen ficken konnte.

Einmal sind die Steaks angebrannt, weil wir vor lauter Liebemachen einfach das Essen vergaßen. Herbert war ein einmaliges Phänomen. Wenn mir zu dieser Zeit jemand gesagt hätte, dass ich mal lesbisch werden würde, dann hätte ich ihn lauthals ausgelacht.

Er kriegte immer einen Steifen. Allerdings bin ich nicht sicher, ob er auch jedesmal einen so vollendeten Orgasmus hatte wie ich. Er war so selbstlos, dass er sogar darauf verzichten konnte, nur um meinen Höhepunkt noch länger und noch schöner werden zu lassen. Aber wir haben nicht nur aneinander herum  gefickt und gehackt. Wir konnten stundenlang sitzen und plaudern, manchmal sogar ernsthaft diskutieren. Herbert hatte unendlich viele Bekannte. Genau genommen gab es für ihn in jeder Stadt, wo er mal einige Zeit als Architekt zu tun hatte – er baute vorwiegend Schulen und öffentliche Gebäude -, einen neuen Bekanntenkreis.

Am Wohnort ließ er sich mit mir kaum sehen. Er wollte seine Kinder nicht durch eine Scheidung verlieren. Aber auswärts nahm Herbert mich überallhin mit, wann immer ich es zeitlich einrichten konnte. Ich habe unheimlich viel gelernt in dieser Zeit – auch geschäftliche Dinge. Sogar unsere gemeinsamen Autofahrten wurden zu Sexabenteuern. Herbert konnte kilometerweit den Wagen mit einer Hand lenken, während er mit der anderen meine Muschi streichelte. Er hat mich nicht darum gebeten, ich bin von selbst darauf gekommen, während der Fahrt meinen Kopf in seinen Schoß zu betten, sein Glied herauszunehmen und daran herum zulutschen. Das habe ich einmal auf der ganzen Fahrt von Hamburg bis Bremen getan, ganz egal, ob Leute aus nebenher fahrenden Wagen herüber schauten oder nicht. Dieses Lecken und Lutschen erregte mich so, vielleicht spielten auch die Schwingungen des großen Wagens mit, um auch meinerseits herrliche Gefühle zu erleben.

Dieses Arschloch!

Dabei wusste ich die ganze Zeit, dass ich eine große Dummheit machte. Ich wollte die Wahrheit nicht sehen. Ich wurde wieder einmal gedemütigt: Er hatte außer mir noch eine Freundin. Mein künstlich aufgebauter Himmel brach zusammen, als ich dahinter kam, warum er immer öfter ohne mich verreisen musste, warum seine Gründe fürs Nichtkommen können stets fadenscheiniger wurden. Herbert fuhr zweigleisig. Oder sogar mehrgleisig. Wo er die Zeit und die Potenz hergenommen hat, ist mir ein Rätsel. Freilich, er arbeitete vorwiegend nachts. Aber selbst dabei führten wir noch ewig lange Telefongespräche. Der Mann muss eine ungeheuerliche Arbeitsleistung in kürzester Zeit bewältigt haben.
Sonst hätte er nicht so viel Zeit für mich und noch für andere erübrigen können. Eine von ihnen habe ich mal kennengelernt. Rein zufällig. Ein millionenschweres Luder. Sie hatte Herbert irgendwie in der Hand. Vielleicht wirtschaftlich. Ich stellte ihn zur Rede. Er wich aus, redete herum, war auf einmal weich und weinerlich, weil er mich nicht verlieren wollte. Und da war es auf einmal aus bei mir. Einen weinerlichen Waschlappen hatte ich schon einmal gehabt. Den hatte ich sogar geheiratet. Herbert hatte mich nicht sexuell gedemütigt, sondern im Herzen.

Und das war viel schlimmer. Ich habe ihn mit Stumpf und Stiel aus mir entfernt. Er war es nicht wert, so geliebt zu werden. Aber ich hatte ja selbst schuld. Mir war ja von Anfang an klar gewesen, dass ich eine Dummheit machte. Seither sind Männer für mich erledigt. Nun ja, so zwischendurch mal einen, wenn er mir ausnehmend gut gefällt oder ich mal gerade Appetit darauf habe.
Ich bin so weit emanzipiert, dass ich mir meine sexuellen Genüsse selbst aussuche, wie es früher nur die Männer konnten. Ich lasse mich nicht erobern, sondern winke mit dem kleinen Finger. Komm oder geh – ganz wie es mir passt. Ansonsten habe ich Gertrud. Sie liebt mich uneingeschränkt, sie ist lesbisch durch und durch. Sie führt meinen Haushalt und meine Geschäfte, wenn ich nicht da bin. Dabei hätte sie das nicht nötig. Ihr Mann war reich. Sie hat einen Teil ihres Vermögens meinem Sohn überschrieben.

Wir sind nicht Mann und Frau. Es gibt keine aktive und keine passive Rolle. Wir sind zwei Menschen, die irgendwie zueinander gehören. Wobei ich gern zugestehen will, dass wohl Gertruds Bindung an mich stärker ist, als meine an sie.
Aber das liegt vielleicht daran, dass meine Liebesfähigkeit schwächer geworden ist. Der Beruf und die Erfahrungen haben mein Herz verhärtet. Wir suchen den sexuellen Genuss, wann immer uns nach einer zärtlichen Stunde zumute ist. Übrigens, wir schlafen nicht zusammen. Jeder hat sein Zimmer und sein Reich. Wir sind körperlich entspannt und darum friedfertig.
Nur manchmal, wie heute, wenn durch einen dummen Zufall – eine Ähnlichkeit zum Beispiel – die Erinnerungen hochgespült werden. Dann ist irgend etwas in mir aufgeweicht, dann suche ich die starke Hand meines Vaters, um mich daran festzuhalten. Aber sie ist nicht da, ist niemals dagewesen. Ich habe immer allein stehen müssen. Und wenn ich einmal auf die Nase fiel, hat mich niemand aufgehoben. Ich musste von allein wieder auf die Beine kommen.

 

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