Im Kaufhaus

Erst jetzt kann ich überlegen, wer der Fremde sein könnte und warum er mich entführt. Wieso konnte er unbemerkt ins Haus? Wo war Richard? Wieso fährt er ein Auto aus unserer Garage? Mir dämmern Richards Worte von gestern Abend, und ich spüre, wie sich meine Angst zum Teil in Erregung unter dem knappen Kleid verwandelt. Vieles geht mir durch den Kopf, und ich weiß nicht, ob die Fahrt ein oder zwei Stunden dauert. Jedenfalls wird mir nach meiner Befreiung aus dem Kofferraum ein ledernes Halsband angelegt, an dem auch gleich gezogen wird. Anscheinend ist es an einer Kette befestigt, so dass ich dem Fremden folgen muss. Er führt mich sehr gut. Meine Absätze hallen mit jedem Tritt.

Das helle Echo erinnert mich an die Hinterhöfe, auf denen wir als Kinder ‚Räuber und Gendarm‘ oder ‚Indianer‘ spielten. Es folgt das Geräusch einer sich öffnenden Tür, die hinter uns zufällt. „Jetzt kommen Stufen.“ Seine ersten Worte helfen mir, trotz der verbundenen Augen nicht zu stolpern. Die Stimme ist gar nicht so tief, wie ich es vermutet habe. Irgendwie angenehm – und doch bestimmt. Als wir im dritten oder vierten Stock ankommen, klopft er dreimal gegen eine Tür. Ich höre, wie sich die schwere Eisentür öffnet und kurz darauf wieder ins Schloss fällt. Ich fühle, dass sich noch jemand im Raum befindet. Nach ein paar Sekunden werden mir die Augenbinde und der Knebel abgenommen.
Meine Augen gewöhnen sich aber nur schlecht an das grelle Licht. Deshalb erkenne ich nur langsam, dass wir uns nicht in der Art Folterkammer, die ich erwartet hatte, befinden. Wir sind in der Sportwarenabteilung eines großen Kaufhauses. Endlich kann ich auch die beiden dunklen Gestalten halbrechts von mir identifizieren. Der eine der beiden Männer ist Richard, und ich bin froh, dass er da ist. Der Andere ist der Fremde, den ich jetzt erstmals richtig betrachten kann. Er ist noch etwas größer als Richard und vielleicht zehn Jahre jünger. Sein Aussehen ist gepflegt und streng.

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